Wir haben mit einer mobilen Betreuerin für Menschen mit psychosozialen Erkrankungen gesprochen. Die 57-Jährige möchte anonym bleiben. Seit rund 30 Jahren arbeitet sie – mit Unterbrechungen – mit psychisch erkrankten Menschen. Sie ist diplomierte Behindertenpädagogin mit passenden Zusatzausbildungen.

"Ich finde meinen Beruf sehr wertvoll. Seit rund dreißig Jahren arbeite ich mit Personen mit psychischen Erkrankungen. Sehr häufige Krankheiten sind Schizophrenie, bipolare Störungen, Angst- und Persönlichkeitsstörungen, manchmal auch Alkoholismus oder Suchterkrankungen. Das Angebot richtet sich individuell danach, was die Leute brauchen.

Bei unseren Klienten sind wir konfrontiert mit Störung der Wahrnehmung, großen Anspannungen oder auch damit, dass Dinge, die im Leben normal sind, für unsere Klienten riesengroß und nicht zu bewältigen sind. Da müssen wir das Drama herausnehmen und Lösungen aufzeigen. Dazu gehört vor allem gutes Zuhören, Gespräche führen und Hilfe zur Selbsthilfe anbieten genauso wie Existenzsicherung durch Alltagsbegleitung und das Organisieren von Hilfsangeboten. Wir regeln mit ihnen gemeinsam finanzielle Dinge, begleiten sie zu Behörden und Ämter oder motivieren sie zu Arztbesuchen.

Gespräche führen und Hilfe zur Selbsthilfe anbieten.
Foto: andy urban

Das Wichtigste in unserer Arbeit ist, eine stabile Beziehung anzubieten. Das gibt den Leuten Sicherheit. Erst wenn es eine verlässliche Beziehung zum Klienten gibt, können Krisen begleitet und bewältigt werden. Und nur so lässt sich auch besser eine Suizidgefährdung einschätzen. Regelmäßigkeit ist hier besonders wichtig, dadurch können manche Krisen abgefangen werden. Wenn ich zu einem Klienten gehe, weiß ich aber nie, was mich dort erwartet. Früher konnten wir uns unter Kollegen viel häufiger etwas zwischen Tür und Angel erzählen. Jetzt ist das wegen des erhöhten Leistungsdrucks schwerer möglich. Heute gehe ich bei der einen Tür raus, egal welche Situation dort war, und gehe beim nächsten Klienten wieder rein, ohne genau zu wissen, was mich dort erwartet. Da muss ich mich sofort umstellen.

Genaue Krisenpläne

Ich arbeite im Schnitt 24 Stunden pro Woche. In unserem Team sind fast alle Teilzeit beschäftigt. Krisen halten sich aber nicht an Dienstzeiten. Daher machen wir mit unseren Klienten auch Krisenpläne, wo genau geklärt wird, was sie in der Krise brauchen und wohin sie sich wenden können. Belastend sind Situationen, die man nicht abgeschlossen hat, auch das Auf-sich-selbst-gestellt-Sein ist oft belastend. Erst unlängst war es so, dass sich zwei Klienten, die sehr intensiv betreut werden, bei mir fast gleichzeitig gemeldet haben. Eine Nachricht hab ich als suizidgefährdet gedeutet. Ich hab ihn angerufen, und er hat mir versichert, dass er sich nichts antun wird, bis ich komme. Den anderen hab ich danach angerufen und leider nicht mehr erreicht. Beide brauchten meine Hilfe. Letztendlich stellte sich heraus, dass der zweite Klient bereits im Krankenhaus war, weil es ihm so schlecht gegangen ist. Und ich konnte dann doch zum suizidgefährdeten Klienten fahren, was gut war. Es gibt zwar einen Leitfaden dafür, aber man wächst auch in den Job rein.

Grenzen zu setzen ist in unserem Beruf wichtig – egal ob es um Aggression, Zudringlichkeit oder um zu enge Freundschaften geht. Unsere Klienten können das zum Teil nicht. Wenn es nicht anders geht, muss man auch die Polizei holen. Teambesprechungen, Fallbesprechungen und Supervision sind bei uns extrem wichtig. Das ist etwas, das hilft, um nicht zu Hause Psychohygiene betreiben zu müssen.

Neben dem direkten Kontakt mit unseren Klienten müssen wir auch genau dokumentieren, was wir gemacht haben. Um Einsparungen zu betreiben, machen wir das gleich bei den Klienten. Das ist nicht immer einfach. Wir sollen einerseits dort Lösungen anbieten oder Dinge organisieren. Gleichzeitig sollen wir alles gut verständlich dokumentieren, damit auch andere den Fall übernehmen können.

Experten ihrer Krankheit

Ich bin happy mit meinem Beruf, obwohl es eine herausfordernde Arbeit ist. Aber solange ich die Klienten mag, bin ich am richtigen Platz, und ich mag sie, trotz ihrer Erkrankung, trotz ihrer schwierigen Lebenssituationen und obwohl es oft nicht einfach mit ihnen ist.

Wenn man merkt, dass sich die Leute, die unter großen Ängste, Leidensdruck und unter Stigmatisierung leiden, trauen, mit dir auf Augenhöhe zu sein, dann ist die Beziehung gelungen. Das ist die Basis, dass sich etwas in ihrem Leben weiterentwickeln kann. Dabei erlebt man viele schöne Momente. Genauso teilt man aber auch die leidvollen Stunden mit ihnen. Einfach da sein, sie nicht allein lassen, oft hilft auch ein kleiner Spaziergang.

Letztendlich sind die betroffenen Menschen die eigentlichen Experten ihrer Erkrankung, wir können sie nur unterstützen, dass das Leben trotz Krankheit gelingt. Das erfüllt mich mit Demut, aber auch mit Bewunderung für diese Menschen. Psychisch erkrankte Personen können Angst machen und im Umgang mit ihnen Unsicherheiten verursachen. Aber es kann uns alle treffen. Niemand ist dagegen gefeit, eine psychische Erkrankung zu erleiden. Dann ist man froh, wenn man weiterhin als Mensch wahrgenommen wird und an der Gesellschaft teilhaben darf. Hier hat sich schon einiges getan, wir sind aber noch auf dem Weg." (ost, 2.3.2020)